Wie sicher ist unser Rentensystem?
MdB Karl Schiewerling im Interview mit dem Chefredakteur der Westfälischen Nachrichten, Dr. Norbert Tiemann.
Plötzlich diskutiert die Republik das Thema Altersarmut, von der weite Kreise der Bevölkerung bedroht sein könnten. Woher kommt plötzlich diese Debatte, dieser Alarmismus?
Derzeit ist die Rentenversicherung in einer sehr guten Verfassung. Wir haben mit der Rente mit 67 ein Konzept, das bis 2030 schrittweise seine Wirkung entfalten wird. Vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung ist aber auch klar, dass wir die Rentenversicherung weiter stabilisieren müssen. Dabei müssen wir mit der gesetzlichen, privaten und der betrieblichen Altersvorsorge alle drei Säulen der Altersabsicherung in den Blick nehmen. Die Rentenversicherung ist ein langfristig angelegtes System. Sie ist kein Segelschiff, das immer wieder den Kurs ändert, sondern ein Tanker, der Verlässlichkeit braucht. Es geht darum, über Generationen hinweg Vertrauen aufzubauen und Sicherheit zu geben. Damit dieses System in der Balance bleibt, müssen wir allerdings immer wieder vorsichtig nachjustieren. Wir brauchen dabei auch den Blick über 2030 hinaus, auch wenn dies mit Unsicherheiten verbunden ist. Bis 2030 haben wir aber gesicherte Rahmenbedingungen.
Das Niveau der gesetzlichen Rente sinkt seit Jahren politisch gewollt kontinuierlich auf womöglich 43 Prozent bis 2030. ist die Politik bei dieser Gesetzgebung aus dem Jahre 2001 zu weit gegangen? Ein Beschluss, der im Alter in die Armut führt? Das kann doch nicht wahr sein!
Es ist nicht politisch gewollt, dass das Rentenniveau sinkt, sondern es ist an die wirtschaftliche Entwicklung und an die Demografie gekoppelt. Es gibt aber Untergrenzen, unter die das Rentenniveau nicht rutschen darf. Ich halte es allerdings für wichtig, das Rentenniveau zu stabilisieren. Dafür müssen wir die Untergrenze nachjustieren. Bis 2030 und darüber hinaus sollten wir das Bruttorentenniveau auf mindestens 45 und nicht auf 43 Prozent stabilisieren. Gleichzeitig sollte der maximale Beitragssatz bis 2030 nicht zu stark ansteigen. Die Umsetzung muss aber finanzierbar und generationengerecht bleiben.
Mit der staatlich geförderten und als politische Errungenschaft viel gefeierten Riesterrente sollte die Rentenlücke geschlossen werden. Wieso gilt die Riesterrente plötzlich in weiten Teilen der Politik als komplett gescheitert?
In der Kritik ist die Riester-Rente, nicht zuletzt wegen des Geschäftsgebarens mancher Anbieter, was nicht immer förderlich war. Der Gesetzgeber hat hier bereits gegengesteuert und beispielsweise Wechselkosten begrenzt. Mehr als 16 Millionen Menschen haben immerhin einen Vertrag abgeschlossen. Allerdings ruhen rund 20 Prozent dieser Verträge und werden nicht (mehr) angespart. Wir dürfen die Förderung der privaten Altersvorsorge aber nicht abschaffen. Wir sollten jedoch die Vorsorgeformen auf Effizienzgesichtspunkte hin überprüfen und optimieren. So sollte die geförderte Altersvorsorge zum Beispiel mit einem Standartprodukt künftig für jedermann zugänglich sein, der unbeschränkt einkommenssteuerpflichtig ist, mindestens aber für Selbständige. Außerdem gilt es zu prüfen, wie wir den Fokus noch stärker auf kleine Einkommen ausrichten können. Auch hier gilt: Wer kontinuierlich vorgesorgt hat, soll im Alter davon auch profitieren. Ein Freibetrag auf die Grundsicherung wäre in diesem Fall hilfreich.
Wenn die Reform reformiert werden muss – was schlagen Sie im Hinblick auf die Entwicklung des Rentenniveaus und das Renteneintrittsalter vor?
Wir müssen das Rentenniveau stabilisieren und die Absenkung in den kleinstmöglichen Schritten gehen. Die Menschen müssen Vertrauen in die Vorsorgesysteme aufbauen. Schnellschüsse sind da kontraproduktiv. Es geht vielmehr darum, die bestehenden Systeme zu optimieren. Jetzt über ein Renteneintrittsalter von 70 zu diskutieren halte ich für den falschen Ansatz. Vielmehr müssen wir die bestehenden Vorsorgemöglichkeiten verbessern. Fest steht, wenn die Menschen durchschnittlich immer länger leben, muss auch das Renteneintrittsalter ansteigen. Das ist jetzt aber nicht das Thema. Wir haben noch nicht einmal die Rente mit 67 erreicht. Die schrittweise Anhebung bis 2030 ist gerade in vollem Gange. Richtig ist aber, dass wir den Renteneintritt flexibilisieren und dass diejenigen, die länger arbeiten wollen auch von höheren Renten profitieren.
Und die Riesterrente?
Privatvorsorge ist und bleibt eine wichtige Säule der Altersvorsorge. Dabei schwächeln die kapitalgedeckten Vorsorgeformen derzeit aus verschiedenen Gründen. Insbesondere wegen der Finanzkrisen und der Niedrigzinsphase scheuen viele Menschen das Kapitalmarktrisiko. Die laufenden vertraglichen Verpflichtungen müssen aber so oder so zu Ende geführt werden. Das ist ganz klar. Klar ist auch, dass wir insbesondere die private Altersvorsorge ausbauen müssen. Gerade Geringverdiener und Arbeitnehmer mit mittlerem Einkommen haben hier ein Absicherungsdefizit. Ihnen müssen wir neue Möglichkeiten der privaten Altersvorsorge unter einem vertrauensvollen Dach bieten. Hier sind neue Modelle, wie die „Deutschland-Rente“ oder Freibeträge bei der Grundsicherung in der Diskussion.
Was ist mit der Lebensleistungsrente?
Wer 40 Jahre Vollzeit gearbeitet und Kinder oder Eltern gepflegt hat, der muss mit seiner Rente oberhalb der Grundsicherung liegen. Die Einführung der Lebensleistungsrente bis 2017 soll diese Menschen vor Altersarmut schützen. Die Rente nach Mindesteinkommen könnte dabei einen Orientierungsrahmen für die konkrete Ausgestaltung geben.
Und die Betriebsrente als dritte Säule der Altersversorgung?
Wir müssen die Betriebsrenten vor allem für Geringverdiener weiter stärken und ihre Verbreitung in kleinen und mittelständischen Betrieben erhöhen. Förderwege müssen vereinfacht und zielgenau ausgebaut werden und vor allem Geringverdiener besser ansprechen. Das Angebot soll kleine und mittelständische Betriebe und deren Beschäftige unterstützen. Arbeitgeber müssen bessere Möglichkeiten bekommen, den Lohn teilweise für die betriebliche Altersvorsorge zu verwenden. Hier geht es jetzt um die Auswertung aktueller Gutachten, um zu sehen, was sich machen lässt.